Als ich mein Abitur gemacht habe, beschloss ich recht spontan zu studieren. Ich zog in eine neue Stadt und trat meinen Studienplatz an. Zum ersten Mal in meinem Leben lebte ich allein! Vor meinem Studium liebte ich es, neue Städte zu besuchen und diese zu entdecken. Als ich jedoch nach Würzburg zog, hatte ich nicht wirklich ein Interesse daran, die Stadt, die mein neues Zuhause werden sollte, zu erkunden. Das Einzige, woran ich Interesse zu haben schien, war es, nach den Veranstaltungen an der Uni nach Hause zu kommen, mich auszuziehen und ins Bett zu kriechen. Ich schlief nicht, ich schaute keine Filme oder Videos – ich lag einfach nur da. Aus irgendeinem Grund fehlte mir für alles Weitere die Kraft. Weil ich jeden Tag erschöpft war, kam ich immer nur kurz vor der Vorlesung in die Uni und ging danach direkt nach Hause, was auch dazu führte, dass ich in der neuen Stadt keinen Anschluss fand. Als noch ein bisschen Zeit verstrich, fühlte ich innerlich eine Leere und Traurigkeit, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Mit jedem Tag hatte ich gefühlt immer weniger Kraft. Ich verlor das Interesse am Kraftsport, welcher mir davor so viel Spaß gemacht hat. Ich habe jeden Tag ohne einen triftigen Grund geweint – und wer jeden Tag weint, weiß, dass auch das einen erschöpft. Als ich immer müder wurde, kam ich manchmal nach der Uni nach Hause und legte mich auf den Boden, weil die fünf weiteren Schritte zum Bett fünf Schritte zu viel waren.
Wer sich mit dem Thema Mental Health schon Mal beschäftigt hat, wird beim Lesen dieser Worte wahrscheinlich gleich an eine Depression denken. Wenn ich auf diese Zeit zurückschaue, scheint es mir so klar zu sein! Allerdings habe ich vor meinen Zwanzigern noch nie was von psychischer Gesundheit gehört, bis auf die paar Bekannte, die „in die Klapse eingeliefert wurden“ – und über die sprach man nur flüsternd, hinter vorgehaltener Hand.
Das Wort Depression hatte in meinem Kosmos bis dato nicht existiert und was man nicht kennt, kann man auch nicht erkennen.
So lebte ich ein Jahr lang. Ich hatte immer weniger Kraft und ich fing an, die Uni zu vernachlässigen. Während des Abiturs hatte ich mehrere Jobs und ein ausgeprägtes Sozialleben – nun fehlte mir die Kraft zum Duschen. Da ich immer nur zuhause war, hatte ich keine Freunde, denen hätte auffallen könnte, dass ich schwänzte. An der Uni herrscht keine Anwesenheitspflicht, daher fiel es auch Dozierenden nicht auf, wenn jemand nicht kam. Ich blieb morgens einfach im Bett liegen und machte mich dann einige Stunden später dafür fertig, dass ich „faul“ bin. Da ich keine Kraft hatte Kurse zu besuchen, konnte ich in der Prüfungsphase auch beim besten Willen nicht all den Stoff nachholen, den ich verpasst habe und rasselte durch viele Prüfungen. Meine Studienzeit überschritt die Regelstudienzeit um drei Semester. Dass man für ein Studium länger braucht als die Regelstudienzeit ist nicht schlimm! Hätte ich allerdings von Anfang an gewusst, dass ich depressiv bin, hätte ich mich schneller in Behandlung begeben können. So viel Leid hätte mir erspart werden können.
Stattdessen dachte ich einige Zeit lang, ich verliere den Verstand.
Ich kam nicht dahinter, was mit mir nicht stimmte.
Durch Zufall bin ich auf Instagram auf einen Account gestoßen, der über Depressionen und Angststörungen schrieb. Innerhalb kürzester Zeit habe ich dann realisiert, dass ich vermutlich an einer Depression leide, was mir dann später durch eine Psychologin bestätigt wurde. Was mich manchmal noch immer traurig stimmt, ist dass ich ein Jahr lang einfach vor mich hin gelitten habe, weil ich noch nie von dieser Krankheit gehört habe. Die Tatsache, dass man eine Depression relativ gut behandeln kann, ist sehr erfreulich! Um diese jedoch behandeln zu können, muss man erkennen, dass man sie hat. Daher ist Aufklärung zu Themen rund um die mentale Gesundheit so unheimlich wichtig.
In der Therapie habe ich endlich die Hilfe und die Werkzeuge erhalten, die ich so dringend gebraucht habe. Ich kann nicht sagen, dass es mir direkt besser ging, denn in Therapie werden auch viele psychische Wunden neu aufgerissen, um sie adäquat behandeln zu können. Dieser Weg war es das aber wert, da am Ende dessen die langersehnte Besserung stand. Nach einem Jahr therapeutischer Behandlung habe ich vieles verarbeitet und Werkzeuge an die Hand bekommen, die mir bis heute noch helfen. Als es mir wieder besser ging, konnte ich mich auch auf das Studium konzentrieren und meinen Bachelorabschluss erlangen.
Während man im Studium steckt, kann man schnell den Eindruck bekommen, dass die akademische Bildung das wichtigste ist, aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass wenn man psychisch erkrankt, man der Genesung absoluten Vorrang gewähren sollte. Obwohl Depression eine Krankheit ist, die man gut behandeln kann, kann diese unbehandelt auch zu schlimmen Folgen führen.
Sollte es euch schlecht gehen, sucht bitte nach Hilfe!
Darüber, wie man psychologische Hilfe an der Uni Stuttgart bekommen kann, werden wir bald einen Artikel veröffentlichen. Bis dahin könnt ihr euch für Hilfe die folgende Seite anschauen: https://www.student.uni-stuttgart.de/uni-a-bis-z/Psychologische-Beratung/.
Xenia Hoff
Bilder: Isabel Rizzo (Instagram: @photosbyisii)