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Im Interview mit zwei Betroffenen mit Angststörung

Angst ist eine wichtige und natürliche Reaktion des Menschen auf Gefahrensituationen. Wenn jedoch Angst ohne eine reale Gefahrensituation und in alltäglichen Situationen auftaucht und einen im Leben einschränkt, kann es sein, dass eine Angststörung vorliegt. Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. gehören Angststörungen in Deutschland zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, an denen circa 15 der Bevölkerung leiden 1. Eine Angststörung kann sich in verschiedenen Symptomen äußern. Zum einen durch Angst oder Furcht vor alltäglichen Situationen, zum anderen aber auch durch physische Symptome wie Herzrasen2.
Darüber, welche Symptome sie hatten und wie sich ihre Angststörung auf ihren Studienalltag ausgewirkt hat, haben wir mit zwei Betroffenen gesprochen. Da sie sich Anonymität gewünscht haben, haben wir ihre Namen geändert.

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Campus Falke: Hallo! Wann habt ihr gemerkt, dass ihr eine Angststörung habt? Welche Symptome habt oder hattet ihr?

Lena: Ich habe eine chronische (physische) Erkrankung. Durch diese habe ich die Angststörung bekommen. Ich selbst habe das ganz lange gar nicht gemerkt, da ich einfach so schon mit vielen Symptomen meiner chronischen (physischen) Erkrankungen lebe. Ich habe einen super Hausarzt, der dann mal mit mir über Angststörungen gesprochen hat und diese auch diagnostiziert hat. Die Angststörung geht quasi Hand in Hand mit meiner chronischen Krankheit und wird von dieser beeinflusst. Wenn es mir physisch schlechter geht, geht es mir meistens auch psychisch schlechter.

Marie: Gemerkt habe ich das selbst tatsächlich nicht! Seit dem Beginn meines Studiums wurde ich einfach in vielen Situationen, die für mich früher normal waren, sehr nervös. Ich hatte Angst vor alltäglichen Sachen, wie zum Beispiel vor dem Gang zum Supermarkt, davor jemanden anrufen, vor dem Auto oder Bus fahren. Zu der Zeit hatte ich relativ wenige Freunde in meiner neuen Uni-Stadt und daher ist es mir nicht wirklich aufgefallen, aber ich habe mich einfach den Symptomen hingegeben und mich allmählich aus allen Situationen entzogen, die mich nervös machten. Erst als ich nach circa einem Jahr wegen meiner Depression in Therapie war und meine Therapeutin mich nach alltäglichen Situationen und meinen Gefühlen dabei gefragt hat, hat sie mir gesagt, dass das eine Angststörung ist.
Ich hatte auch körperliche Symptome. Unter anderem habe ich sehr viel geschwitzt, weil mein Gehirn meinem Körper dauernd das Signal gesendet hat, dass wir uns in einer Gefahrsituation befinden. Oft hatte ich das Gefühl, nicht richtig Luft holen zu können und habe deshalb oft gähnen müssen. Weil ich nachts wegen der Grübelei oft nicht schlafen konnte, war ich tagsüber sehr müde. Weitere Symptome waren für mich ein Klingeln in den Ohren und Herzrasen, wenn die Angst sehr stark war.

Campus Falke: Wie wirkt sich die Angststörung auf euer Studium aus?

Lena: Für mich war die Onlinezeit eine absolute Erleichterung des Studiums. Mir geht es durch meine chronische Erkrankung oft physisch nicht gut und vor Corona hatte ich viele Fehlzeiten durch Krankenhausaufenthalte etc. Außerdem fällt es mir aufgrund der Angststörung oft schwer, mit vielen Menschen an einem Ort zu sein. Das lässt sich auf dem Campus natürlich nicht vermeiden. Mir wird dann meistens schwindelig und ich bekomme Panik. Da ist natürlich klar, dass ich so nicht in einem Seminar oder auch in den Öffis sitzen kann.

Marie: Mittlerweile wirkt sich die Angststörung kaum noch auf mein Studium aus, weil ich sie relativ gut in den Griff gekriegt habe. Bevor ich in Behandlung war und als ich noch keine Tools hatte, um mit der Angststörung umzugehen, hat sich die Angststörung extrem auf mein Studium ausgewirkt! Ich war vor dem Schlafen gehen schon nervös darüber, was der nächste Tag bringen würde und konnte vor lauter Grübeln nicht einschlafen. Ich hatte oft Angst davor, zur Uni zu gehen, da ich mir ganz viele schlimme „Was ist, wenn … passiert?“ ausgemalt habe. „Was ist, wenn der Dozent mich etwas fragt und ich keine Antwort darauf weiß?“ „Was ist, wenn andere Studierende mit mir sprechen, aber ich vor Nervosität etwas blödes sage?“ und viele weitere solcher Fragen. Ich bin dann oft gar nicht erst zur Uni gegangen. Wenn ich aber gegangen bin, kam ich oft sehr kurz vor dem Beginn der Seminare, weil ich auch eine Sozialphobie hatte und ganz viel Angst davor hatte, was andere Menschen von mir denken. Das hat dazu geführt, dass ich im Studium ganz lange keine Freunde finden konnte. Dadurch wurde es für mich sehr schwer, in der neuen Stadt Anschluss zu finden.

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Campus Falke: Was hat euch mit der Angststörung geholfen? Seid ihr in Therapie oder medikamentös eingestellt? Habt ihr irgendwelche anderen Tipps?

Lena: Eine Therapie mache ich momentan nicht. Das kann ich mir in Zukunft aber gut vorstellen. Da ich aber wegen meiner chronischen Krankheit sowieso schon regelmäßig im Krankenhaus oder bei Ärzt*innen sein muss, bin ich gerade froh, nicht noch zu einem Arzt*Ärztin mehr gehen zu müssen. Außerdem ist das ja nicht ganz so einfach, einen passenden Therapieplatz zu finden. Was mir am Allermeisten hilft, ist darüber zu sprechen. Den Leuten zu erklären, was mein Problem ist und warum ich manche Sachen nicht so machen kann wie gesunde Menschen. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass psychische und physische Erkrankungen mehr Menschen betreffen, als man denkt. Viel mehr Menschen machen eine Therapie, als man denkt. Und wenn man darüber spricht, kann man Betroffenen helfen, denen dafür noch der Mut fehlt.

Marie: Die Gesprächstherapie hat für mich Wunder bewirkt. Meine Therapeutin hat mir erklärt, dass das Hirnareal, das für Angst zuständig ist (die Amygdala) und das Hirnareal, das für Problemlösungen und logisches Denken zuständig ist (der Frontallappen), nicht miteinander kommunizieren können. Das hat mir sehr geholfen, weil ich dann verstanden habe, dass meine Ängste nicht unbedingt auf Tatsachen beruhen. Nach einigen Behandlungen und als ich wieder ein bisschen mehr Kraft hatte, hat meine Therapeutin mich ermutigt, mich Dingen auszusetzen, die mir Angst machen. Ich habe mit kleinen Dingen angefangen, die mir nicht sehr viel Angst gemacht haben, wie zum Beispiel einkaufen zu gehen, aber zu Uhrzeiten, in denen nicht so viele Menschen einkaufen. Diese Art der „Exposure-Therapy“ hat mir geholfen zu sehen, dass selbst wenn mich einige Dinge unglaublich nervös machen und mir Angst einjagen, ich sie trotzdem schaffen kann. Nach einiger Zeit habe ich mich dann an für mich größere Hürden getraut. Diese Übungen haben mir sehr geholfen, da sie mir wieder das Selbstvertrauen gegeben haben, das mit der Angststörung verloren gegangen ist. 
Was mir auch sehr geholfen hat sind Atemübungen, wenn ich merke, dass mein Körper gerade Symptome (Herzrasen, flache Atmung) der Angst zeigt. Meine liebste Atemübung im Alltag ist das „Box-Breathing“: Man atmet vier Sekunden lang ein, hält für vier Sekunden die Luft an, atmet vier Sekunden lang aus und wartet vor dem nächsten Einatmen weitere vier Sekunden.

Campus Falke: Was wünscht ihr euch von eurem Umfeld?

Lena: Ich wünsche mir, dass auch gesunde Studierende sich öfter bewusst machen, dass Gesundheit keine Selbstverständlichkeit ist und man eben nicht jedem Menschen seine Krankheit ansieht. Ich erinnere mich noch, wie in meinem ersten Semester über mich gelästert wurde. Das war vor Corona und noch in Präsenz in der Uni, mit Anwesenheitspflicht. Ich hatte davon eine Befreiung, weil ich (zwar nicht wegen meiner Angststörung, aber wegen der chronischen Erkrankung) in diesem Semester oft im Krankenhaus war. Von „die schwänzt nur“ bis zu „die hat es nicht verdient, das Modul zu bestehen“ war echt alles dabei. Da wünsche ich mir mehr Aufklärung. 

Marie: Das ist für mich eine sehr komplexe Frage. Klar, wünsche ich mir einerseits Verständnis von meinem Umfeld dafür, dass ich manchmal Sachen kurzfristig absagen muss, weil meine Angst einfach zu hoch ist und ich es nicht schaffe, aus dem Haus zu gehen! Aber andererseits hat mir manchmal minimaler Druck darüber, dass Menschen sich darauf verlassen, dass ich zu Verabredungen komme, auch geholfen, denn dann war ich gezwungen aus dem Haus zu gehen und am Ende hat es mir meistens gutgetan. Was ich mir aber wünsche, ist, dass es mehr Aufklärung zu dem Thema gibt und Menschen generell mehr darüber wissen und wissen, wie sich das auswirken kann. Ich habe schon oft Situationen erlebt, in denen ich sagte, dass ich eine Angststörung habe und Menschen mich fragten: „Wovor hast du denn dabei Angst?“ – als müsste es darauf eine logische Antwort geben. Genau das ist ja das Problem bei der Angststörung: Die Dinge, die einem Angst machen, sind nicht immer logisch, sonst wäre es ja nur eine berechtigte Angst, aber es ist ja eine Störung. Ich wünschte, es gebe mehr Aufklärung, damit Menschen, die daran erkranken, nicht auch noch für die Aufklärung zuständig sein müssten.

Xenia Hoff

Fotos:
(1) Thanh Vy
(2) Isabel Rizzo. Instagram: @photosbyisii. Auf dem Bild zu sehen: Lisa Sonntag

Quellen:
[1] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. „Wenn Angst krankhaft wird“. Letzter Zugriff: 31.05.2022. <https://www.dgppn.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2017/themendienst-angststoerungen.html#:~:text=Angstst%C3%B6rungen%20sind%20die%20h%C3%A4ufigsten%20psychischen,Frauen%20deutlich%20h%C3%A4ufiger%20als%20M%C3%A4nner.>
[2] gesundheitsinformation.de. „Generalisierte Angststörung“. Letzter Zugriff: 31.05.2022. <https://www.gesundheitsinformation.de/generalisierte-angststoerung.html > 

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