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Das Gefälle im Bett – die Orgasm Gap

Erotische Hörspielapps, Sexspielzeug, feministische Pornos. Der weibliche Orgasmus ist im Trend. Frauen haben Lust und Sex. Instagram ist voller Aufklärungsposts feministischer Accounts. Man müsste also meinen, dass dieser Trend sich auch zwischen den Laken niederschlägt. Doch die Realität ist leider eine andere. Während beim Sex bis zu 90% der Männer zum Höhepunkt kommen, sind es gerade mal knapp 50–70% der Frauen, die einen Höhepunkt erreichen. Das bedeutet nicht, dass Männer grundsätzlich schlecht im Bett sind, aber die Chancen einen Orgasmus zu haben steigen bei Frauen um 32%, wenn sie in lesbischen Beziehungen sind, so eine Studie der Universität Arkansas.

Das Problem des ausbleibenden Orgasmus ist jedoch ein tiefergreifenderes als nur inkompetente Geschlechtspartner*innen. Sex ist für viele Frauen immer noch ein Leidensthema. Nicht nur Schmerzen, Ängste oder Unwissenheit sind alltägliche Hürden für viele Frauen beim Geschlechtsverkehr, sondern auch Gewalt. Eine von fünf Frauen hat in ihrem Leben schon eine Vergewaltigung erlebt oder den Versuch einer solchen. Die Zahlen sind bei Frauen ofcolor deutlich höher. Sex als Risiko– ein Risiko das weiblich gelesene Menschen abwägen müssen, denn die Leidtragenden sind sie. Sagt eine Frau Ja, kann es im Fall von Gewalt gegen sie verwendet und nicht mehr zurückgenommen werden. Die Konsensdebatten, die #metoo-Bewegung oder der neue Grundsatz „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht haben diesen Umstand leider nicht verändert… zumindest nicht weitreichend genug. Die Konsensdebatte skizziert zudem weiter ein Bild einer sexuell passiven Frau in der Gesellschaft. Einer Nein-sagenden Frau, die man davon überzeugen muss, Geschlechtsverkehr zu haben und zu wollen. Dem gegenüber steht das heteronormative Bild eines omnipotenten Mannes, der beständig auf der Jagd ist und konstant sexuelle Lust verspürt. Männer werden noch immer als Helden gefeiert, haben sie ein reiches Sexualleben, während für Frauen der gesellschaftliche Gesichtsverlust (Slutshaming) immer noch ein Faktor ist, mit dem sie als selbstbestimmte Menschen kämpfen müssen. Frauen leben in einer Welt, in der Sex die Gefahr von Gewalt mit sich bringt, in der Sex als etwas ihnen Abgeneigtes präsentiert wird, dass sie sowieso weniger wollen. Dieses Narrativ ist Teil des sexuellen Bewusstseins von Frauen. Es bedarf deutlich mehr, um das Höhepunktgefälle zu beseitigen, als einen Partner*innen-Wechsel. Geschlechterrollen müssen aufgebrochen werden und Frauen müssen sich in Sicherheit wissen, wenn sie ihren sexuellen Bedürfnissen Ausdruck verleihen.

Ein erfülltes Sexualleben und Orgasmen sind gesund. So bringen regelmäßige Höhepunkte, egal ob durch Masturbation oder Koitus mit Partner*in, diverse gesundheitliche Vorteile. Durch die ausgeschütteten Endorphine und das Kuschelhormon Oxytocin, werden nicht nur Stresshormone gesenkt, sondern ebenfalls das Immunsystem gestärkt. Dies führt nicht nur zu einem gesenkten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck, sondern zur Hemmung von Entzündungen, was zu einem feineren Hautbild führen kann. Außerdem können Menstruationsbeschwerden deutlich reduziert werden, da es im erregten Zustand zu Kontraktionen des Unterleibs kommt, die schmerzhafte Krämpfe lösen. Befriedigender Sex verbessert nicht nur das psychische, sondern das physische Wohlbefinden. Das Bedürfnis nach einem erfüllten Sexleben ist in der weiblichen Bevölkerung definitiv vorhanden. Frauen wollen kommen. Die Lösung für dieses Problem liegt auf der Hand, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn wie heißt es so schön, wenn man will, das etwas richtig gemacht wird, macht man es am besten selbst. Masturbation, ist ein wichtiges Mittel auf dem Weg zur sexuellen Erfüllung. Regelmäßige Selbstbefriedigung mag zwar die gesellschaftlichen Probleme nicht lösen, aber es ist ein wichtiger Teil, um sich seiner eigenen Sexualität bewusst zu werden und seinen eigenen Körper kennen zu lernen. Denn wer weiß, was er mag, kann dies kommunizieren und vielleicht manchem*mancher unbeholfenen Sexualpartner*in den richtigen Weg weisen. Denn nur Konsens zu bekunden ist nicht genug für guten und erfüllenden Sex. Natürlich ist Konsens extrem wichtig, doch ist es das absolute Minimum. Was uns zum Punkt Kommunikation bringt. Zu kommunizieren was man beim Geschlechtsverkehr mag, ist enorm wichtig für alle Beteiligten. Zwar werden in Film und Fernsehen, vor allem auch in gängiger Pornographie, dem*der Zuschauer*in gern suggeriert, dass es keiner Worte bedarf und alles automatisch passiert, aber dem ist nicht so. Um sich verständigen zu können, muss man seinen eigenen Körper etwas kennen, denn nicht alles ist learning by doing. Ein grundlegendes Verständnis von der Anatomie seines Geschlechtsorgans ist dabei sehr hilfreich (neben der zuvor erwähnten Masturbation). Dazu gibt es allerlei lohnende Bücher und Serien. Doch auch die männliche Weltbevölkerung darf und sollte sich mit der weiblichen Anatomie befassen. So hilft es bestimmt zu wissen, wo genau die Klitoris ist, damit der Sexualakt nicht in einen Biologieunterricht entartet und eure Partner*in zur Aufklärungsarbeit aufgerufen ist. Natürlich ist aber das Unvermögen einen Orgasmus zu haben so viel mehr und nicht zwingend Indiz für ein grundsätzlich schlechtes Sexualleben. Wir Frauen sollten aber vielleicht selbst mit dem Mythos brechen, dass es für uns Usus ist keinen Orgasmus zu haben. Unser Körper ist nämlich durchaus im Stande zum Höhepunkt zu kommen. Einer der ersten Schritte, die gesellschaftlichen Sexualrollen aufzubrechen, scheint eben nicht mehr zu akzeptieren, dass wir die passiven Mitspieler*innen sind und unsere Rolle beim Sex umzuschreiben. Frauen haben Lust, Sex und Orgasmen

Rahmi M. Köschker

Bild: Taras Chernus – Unsplash https://unsplash.com/@chernus_tr

Quellen:
-Angel, Katherine: Morgen wird Sex wieder gut. Frauen und Begehren. Carl Hanser Verlag.
-The Principals of Pleasure; Netflix
-https://www.emotion.de/psychologie-partnerschaft/liebe-sex/welt-orgasmus-tag
-https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/ergebnis-von-us-studie-mit-2200-frauen-lesbische-frauen-haben-mehr-orgasmen-was-maenner-daraus-lernen-koennen_id_8793787.html
-https://www.forbes.com/sites/alicebroster/2020/07/31/what-is-the-orgasm-gap/?sh=1edf63e560f8

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