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Being Different – My brain is unlike yours

Von neurodivergenten Menschen (z.B. Menschen mit ADHS, Dyslexie, Autismus-Spektrum-Störung) bis hin zu Menschen mit Angststörungen und Depressionen -jedes Gehirn ist und funktioniert anders. Für viele „neurotypische“ Menschen ist es schwierig nachzuvollziehen, wie es ist mit einer Erkrankung oder einem neurodivergenten Gehirn zu leben, die nicht sichtbar für andere sind. Die Zeit in der Schule und der Weiterbildung ist meistens schwieriger zu bewältigen. Symptome wie Konzentrationsprobleme, Energiemangel und emotionale Instabilität können die Fähigkeit zur Bewältigung des Studiums beeinträchtigen. Probleme bereiten sich schon aus simplen Sachen zusammen wie die Reizüberflutung im Seminarraum durch die Helligkeit und zu viele Geräusche. Das Gehirn von neurodivergenten Menschen kann hier nicht selektieren, welche Informationen als wichtig erachtet werden und die Konzentration fällt ab. Die Überforderung für diese Menschen ist enorm, soll aber von der Außenwelt nicht wahrgenommen werden. Das Gefühl des Alleinseins entsteht und führt zu einer noch höheren Überforderung. Die Bildung, der Alltag, die Arbeit stellen alle Herausforderungen dar, die jedes Mal aufs Neue bewältigt werden müssen und Energie rauben.

Löffel Theorie

Damit sich „neurotypische“, psychisch gesunde Menschen besser in die Herausforderungen von psychisch kranken Menschen versetzen können betrachten wir die „Löffel-Theorie“. Diese Theorie macht das Energiedefizit klarer. Christine Miserandino erzählt davon, wie Menschen mit Erkrankungen nur eine bestimmte Kapazität haben. Für ein besseres Verständnis verwendet sie die Metapher der Löffel. Die Löffel stellen die Energiekapazität dar. „Neurotypische“ und gesunde Menschen haben oft eine unbegrenzte Anzahl an Löffeln und Erkrankte nicht. Erkrankte Menschen haben zu Beginn ihres Tages beispielsweise 15 Löffel, diese müssen sie über den ganzen Tag verteilen. An einem Tag ist das Aufstehen ein Löffel, an einem anderen sind es vier. So gibt man über den Tag die Löffel für unterschiedliche Dinge ab und manchmal bleibt nach der Arbeit oder Uni nur noch ein Löffel übrig. Benutzt man den zum Wäsche waschen oder doch um sich noch was zu essen zu machen? Die Löffel-Theorie ist keine wissenschaftlich hinterlegte Theorie, sondern vielmehr soll es Menschen helfen zu verstehen, dass nicht jeder Tag mit gleich viel Energie herangegangen werden kann und manchmal auch Reserven geschaffen werden müssen für schlechtere Tage. Warum hat man am Ende von dem einen Tag keine Löffel mehr? Wenn eine Handytaschenlampe konstant eingeschaltet ist, wird dem Telefon Energie entzogen. Das ist es, was Angst und ständige Gedanken mit einem machen und deshalb ist keine Energie mehr da für andere Dinge. Das, was die Menschen wahrnehmen, ist nur ein Bruchteil dessen, was sich eigentlich hinter der Fassade verbirgt.

Schulzeit und Studium für neurodivergente Menschen

Lehrer:innen werden in ihrer Ausbildung nicht ausreichend sensibilisiert für Schüler:innen mit psychischen Erkrankungen und innerhalb des neurodivergenten Spektrums. Ausgrenzung passiert viel zu schnell in Klassen durch wenig Aufklärung und führt zu Folgeschäden. Stellt euch das Beispiel eines „seltsamen“ Jungen vor, der keine Freunde hat. Es stellt sich heraus: Er hat eine Autismus-Spektrum-Störung und ADHS, von der keiner etwas wusste. Demnach hat dieser Junge nicht nur Probleme mit der Ausgrenzung, sondern auch mit seinen schulischen Leistungen. Seine Stärken liegen nicht in den Fächern Mathematik, Deutsch oder Chemie. Er zeigt sein Können in Kunst und Englisch, trotzdem hat er schlechte Noten und das zieht sich hin bis zu seinem Abschluss. Nach dem Abschluss will er studieren, da er frei wählen kann, was er studieren möchte. Doch hier verstärken sich seine Symptome nur mehr: Der Leistungsdruck wird höher und die Lernschwierigkeiten nehmen zu. Studierende erleben oft hohen Druck und Belastung. Zudem hat er durch die Isolation in Corona und den Druck von der Außenwelt eine depressive Erkrankung bekommen und eine Angststörung mit wiederkehrenden Panikattacken. In dem laufenden Semester hat er selbst schon gelernt, wie er mit der fehlenden Energie umgehen soll, er hat seine eigenen Coping-Mechanismen entwickelt, wie exzessiv Serien schauen, malen oder Videospiele spielen. In seinen Hobbys und seinen Stärken geht er auf und kann sich Stunden lang in ihnen verlieren. Er ist zwar auch an seinem Handy, schafft es aber nicht, sich mit seinen Nachrichten zu beschäftigen. Bis nächste Woche muss er noch eine Hausarbeit schreiben und hat zwei Prüfungen. Seine Hausarbeit bereitet ihm Schwierigkeiten und er ist überfordert. Für seine Prüfung zu lernen ist quasi unmöglich, da er sich nicht konzentrieren kann. Er hat Angst vor dem Versagen und macht sich damit nur noch mehr Stress und bekommt Panikattacken. Die Versagensangst führt ihn in eine depressive Phase. Für diese Woche hat er kaum noch Löffel. Alles hängt miteinander zusammen, das Gehirn hört nie auf zu denken, es ist nie still. Warum hat er am Ende von dem einen Tag keine Löffel mehr? Wenn im Hintergrund immer zehn Apps auf dem Handy laufen, die alle verschiedene Aufgaben erfüllen, geht der Akku viel schneller leer. Ungefähr so ist es mit seiner Angst und den kreisenden Gedanken zu leben. Er weiß, er kann die Prüfung nicht ohne die Unterstützung von Medikamenten schaffen. Diese verursachen bei ihm allerdings starke Nebenwirkungen. Wenn er seinen Kommiliton:innen davon erzählt, wird ihm nur gesagt, dass ja jeder Prüfungsangst hat. Er fühlt sich nicht ernstgenommen und verstanden.

In Unternehmen

In der Unternehmenswelt wird viel über Inklusion und Vielfalt gesprochen, aber die tatsächliche Umsetzung und Akzeptanz von neurodiversen Menschen und Menschen mit psychischen Erkrankungen kann herausfordernd sein. Obwohl ihre einzigartigen Perspektiven und Fähigkeiten geschätzt werden, stoßen sie manchmal auf mangelndes Verständnis und Schwierigkeiten bei der Integration. Während schlechter Phasen oder mentaler Erschöpfung sind das Verständnis und die Unterstützung von Kolleg:innen und Organisationen entscheidend. Die Welt ist nicht an die Bedürfnisse von neurodiversen Menschen oder Menschen mit psychischen Erkrankungen angepasst, aber Verständnis und Empathie würden für eine unterstützende Arbeitsumgebung sorgen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es wichtig ist, dass angemessene Unterstützung für Menschen mit psychischen Erkrankungen angeboten wird. Doch noch wichtiger ist es, das Stigma zu reduzieren und ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, in dem sie offen über ihre Bedürfnisse sprechen können, ohne verurteilt zu werden. Jeder hat eine unterschiedliche Anzahl an Löffeln.

Ksenija Löchel


Weiterführende Links zum Thema

  • LeFevre-Levy, R., Melson-Silimon, A., Harmata, R., Hulett, A. L., & Carter, N. T. (2023). Neurodiversity in the workplace: Considering neuroatypicality as a form of diversity. Cambridge University Press, Industrial and Organizational Psychology 16, 1–19. https:// doi.org/10.1017/iop.2022.86 16, pp. 1-19.
  • Armstrong, T. (2010). Neurodiversity: Discovering the Extraordinary Gifts of Autism, ADHD, Dyslexia, and Other Brain Differences. Da Capo Lifelong Books.
  • Lane, S. J., Reynolds, S., & Thacker, L. (2010). Sensory over-responsivity and ADHD: Differentiating using electrodermal responses, cortisol, and anxiety. Frontiers in Integrative Neuroscience, 4, 8

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